Ausverkauf im Wing Chun Supermarkt

Geschrieben von DIetmar Christl

„Mit etwas cash kriegt jeder seinen flash“ -diesen Eindruck bekommt man bei Betrachtung der hiesigen Wing Chun Szene. Ob Kind, Esoteriker,Rollstuhlfahrer,Blinder,Wellnessfan oder welch auch immer gearteter Quereinstieg der Zugang zum Wing Chun auch sein mag, es wird für jeden die richtige Identifikationworthülse gebastelt, um sie danach variabel an Bedürfnisse anzupassen die in irgend einer Nische übrig sind ,oder manchmal erst geweckt werden. So können damit auch mehr Personen als die grundsätzlich Kampfkunstnteressierten abgedeckt werden. Auch den Frauen wird gerne eine falsche Leichtigkeit des Kämpfens suggeriert, der schöne Name des Stils täuscht über dessen Agressivität hinweg.

 

Findige Europäer haben das traditionelle chin. Familiensystem durch ein optimiertes Franchisingsystem mit bester PR-Maschinerie ergänzt, wodurch es seinen Charakter verloren hat. Was vom Familiensystem übrigblieb, ist daß was sich komerziell verwerten läßt. Es ist nicht schlecht fürs Geschäft wenn man durch einen patriachalisch, hierarchischen Führungsstil, die Kritikfähigkeit der Schüler einschränken kann indem man sich auf alte Traditionen beruft. Es fragt sich nur ob dies in einer modernen europäischen Trainingskultur angebracht ist und vor allem ob es auch wirklich produktiv ist.

 

Tatsächlich soll der Lehrer „angreifbar“ bleiben und eine Atmosphäre schaffen können, in der konstruktive Kritik möglich ist, Bedenken diskutiert und bei Zweifeln porbiert werden kann, ohne Gefahr das dies als Vertrauensmißbrauch gewertet wird. Oft geben Symbole, Rituale, Graduierungen, Kleidung etc. den Exponenten Struktur und Sicherheit. Selbstgefällige Verbandszeitungen dienen meist eher der Selbstdarstellung, als der kritischen Auseinandersetzung mit Andersdenkenden.

 

Die Fragwürdigkeit der Graduierungen ergibt sich bereits durch die unterschiedlichen Talente der Schüler. Auch wenns bitter ist:“one man`s ceiling is another man`s floor“. So gibt es immer wieder Schüler, die mit wenig Technik viel machen können. Die Wing Chun als „tool“ zum Kämpfen verstehen und einen sehr pragmatischen Zugang zum System haben. Dennoch sind Schweiß und Fleiß nicht ersetzbar durch bloßes Verständnis. Daher erscheint die verlockende Werbung von wegen wenig Kraft und Zeitaufwand doch nicht der Trainingsrealität zu entsprechen. Es macht auch wenig Sinn sich auf die Dauer der eigenen Schulangehörigkeit zu berufen oder auf seinen durch bloße Anwesenheit erworbenen „Si Hing“ zu pochen, obwohl ein „Neuer“ es nach geraumer Zeit einfach besser anwenden kann. Also wozu das ganze Theater? Innerhalb der Schule kennt ein jeder so oder so seinen Rang, indem er mit den Anderen trainiert und dadurch seine Grenzen aufgezeigt bekommt, frei nach der Erkenntnis was machbar ist und was nicht. Daher ist also Training gleichzeitig Prüfung! Alles zusätzlich mit Prüfungen zu sanktionieren ist lediglich profitables Geschäft. Zumal ist der Ausbildungsstand auch dynamisch zu verstehen. Manch einer holt durch Fleiß gegenüber einem Fauleren aber Talentierterem auf, oder bewegt sich erst eine gewisse Zeit auf einen Plateau wo nichts weiter geht, bevor er seinen nächsten Entwicklungsschub zeigt, oder aber baut ab weil er lange nichts trainiert. Daher ist dieser dynamische Prozeß nicht einfach willkürlich mit Graduierungen zu erfassen und dadurch sind diese auch verzichtbar. Das Argument Prüfungen dienen dazu aufzuzeigen was jemand bisher gezeigt bekommen hat ist schwach, da eigentlich nur zählt was einer tatsächlich umsetzen kann und dies findet ein erfahrener Lehrer sehr schnell heraus, wenn er Schüler checkt. Oder wie Meister Wong Shun Leung zu sagen pflegte: Es kommt auf den Sänger an, nicht auf die Melodie!

 

Dietmar Christl